Ausbildung mit Migrationshintergrund: Wenn ich wirklich etwas tun will, kann ich es auch

Wenn junge Menschen nach Deutschland einwandern, geschieht dies nicht immer freiwillig: Manchmal kommen sie, weil sie und ihre Eltern aus einer wirtschaftlichen oder politischen Notlage heraus ihr Land verlassen haben oder verlassen mussten. Einerseits gibt es auf dem Ausbildungsmarkt derzeit noch mehr als ausreichend freie Plätze, in manchen Branchen fehlt Betrieben und Unternehmen der Nachwuchs. Andererseits verfügen viele Jugendliche und junge Erwachsene aus dem Ausland weder über die erforderliche Schulbildung noch hinreichende Sprachkenntnisse. Wie können aus ihnen künftige Fachkräfte werden?

 

Zwei Betroffene diesseits und jenseits des Schreibtischs berichten.

„Vertrauen ist die Grundlage für eine gute Beratung“

Patricia Zwick ist Arbeits- und Organisationspsychologin. Als Arbeitsvermittlerin berät sie im Jobcenter Sigmaringen junge Menschen unter 25, vorzugsweise zur Ausbildung, aber auch zur Aufnahme einer Beschäftigung. Sie trifft viele Menschen mit einem Migrations- oder Fluchthintergrund, „unter anderem aus dem Irak, aus Syrien, der Türkei, dem Kosovo, aus Griechenland, Äthiopien und aus Gambia.“

Beim ersten Gespräch, wenn es um schulische oder berufliche Vorkenntnisse geht, erfährt Patricia Zwick manches Mal auch etwas über die jeweilige Vorgeschichte: „Es gibt junge Menschen, die enge Angehörige im Krieg verloren haben und schwer traumatisiert sind oder die eine jahrelange Flucht hinter sich haben. Diese Menschen brauchen oft psychologische oder ggf. psychiatrische Betreuung und Begleitung. Dafür verweise ich sie an die entsprechenden Stellen, um eine Stabilisierung zu erreichen, bevor sie – oft in sehr kleinen Schritten – in den Ausbildungs- oder Arbeitsmarkt einmünden können. In den Beratungsgesprächen versuche ich, eine Vertrauensbasis herzustellen. Das ist die Grundlage für gute Beratungsarbeit, damit den Jugendlichen und jungen Erwachsenen umfassend und je nach Bedarf geholfen werden kann.“

Bei der Vorbildung reicht das Spektrum je nach Person und Herkunftsland vom abgebrochenen Studium bis zur mangelhaften schriftlichen Beherrschung selbst der Muttersprache, erklärt Patricia Zwick. „Andere Länder haben meist ein anderes Schul- und Ausbildungssystem, und gerade in ärmeren Ländern ist es jungen Menschen oft nicht zugänglich.“

Die Ankömmlinge gehen je nach Alter verschiedene Wege: „Jugendliche unter 18 sind in der Regel berufsschulpflichtig, zusammen mit der hier anerkannten Schulzeit im Herkunftsland müssen sie insgesamt mindestens zehn Jahre die Schule besuchen. Während des Schulbesuchs gibt es üblicherweise bereits Kontakt zur Berufsberatung. Im Vordergrund steht dabei der Spracherwerb, denn für eine Ausbildung ist in der Regel das Sprachniveau B2 erforderlich. Wer bei der Ankunft in Deutschland bereits 18 oder älter ist, durchläuft als erstes einen Sprach- und Integrationskurs mit abschließender Sprachkurs- und Politikprüfung („Leben in Deutschland“).

Auf dem weiteren Weg ins Berufsleben kann Patricia Zwick die jungen Leute durch verschiedene Integrationsmaßnahmen unterstützen: „Die Aktivierungsmaßnahme für Jugendliche beispielsweise dient der Berufsorientierung und -erprobung durch Praktika in Betrieben und umfasst auch sozialpädagogische und psychologische Betreuung. Für eine Integration in Ausbildung kann die Maßnahme BvB unterstützend eingesetzt werden. Hier werden Stärken und Interessen ermittelt und Schulkenntnisse aufgefrischt, die Jugendlichen können auch den Hauptschulabschluss nachholen.“ Auch eine so genannte Einstiegsqualifizierung, also ein Langzeitpraktikum mit Besuch der Berufsschule, ist möglich. Klappt es dann mit dem Ausbildungsplatz, kann Patricia Zwick bei Bedarf durch Nachhilfeunterricht und sozialpädagogische Betreuung unterstützen.

Patricia Zwick nimmt ihre Arbeit gelegentlich als Herausforderung, aber auch als Chance wahr: „Manchmal stelle ich fest, dass die Menschen unrealistische Vorstellungen haben. Zu meiner Arbeit gehört, dass ich ihnen ihre Illusionen nehme, wenn sie etwa mit rudimentären handwerklichen und fehlenden sprachlichen Kenntnissen eine Ausbildung als KfZ-Mechatroniker beginnen wollen. Wenn sie dann stattdessen eine Beschäftigung aufnehmen wollen, müssen sie mangels Qualifikation Helfertätigkeiten annehmen. In diesen Fällen muss ich ihnen den Einstieg ‚von ganz vorne‘ vermitteln und sie an ihre Mitwirkungspflicht erinnern, das ist für niemanden einfach. Aber dann gibt es auch andere, die wirklich motiviert sind und sich ins Zeug legen, um etwas zu erreichen. Grundsätzlich empfinde ich den Blick über den kulturellen und gesellschaftlichen Tellerrand als Bereicherung für die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt.“

 

„Es gibt immer einen Weg“

Broula Issa hat vor Kurzem eine Ausbildung zur Handelsfachwirtin bei einem Textilunternehmen begonnen. Als sie 2014 als Jugendliche von Syrien nach Deutschland kam, wollte sie noch unbedingt Pharmatechnik studieren – ein Traum seit ihrer Kindheit: „Ich habe mich daran erinnert, wie teuer und rar gute Medikamente in Syrien sind. Ich wollte etwas für die Menschen dort tun.“ Für ein Studium in Deutschland wäre das Abitur statt des hier anerkannten Realschulabschlusses notwendig gewesen – doch dafür reichten die deutschen Sprachkenntnisse noch nicht.

Nach mehreren Anläufen, die Hochschulreife doch noch zu erreichen, bewarb sich Broula Issa auf kaufmännische Ausbildungsberufe und jobbte bei einem Textilunternehmen. „Ich wollte eigentlich nur die Wartezeit bis zur Ausbildung überbrücken. Dann hat mich eine Kollegin angesprochen und mir empfohlen, mich in dem Unternehmen zur Handelsfachwirtin ausbilden zu lassen. Ich habe nach der Zusage noch Einladungen von anderen Betrieben bekommen. Aber mir hat meine Arbeit mittlerweile so gefallen, dass ich nirgendwo anders hinwollte.“ Wenn alles gut läuft, kann Broula Issa nach der dreijährigen Ausbildung selbst ausbilden. „Ich berate sehr gerne Leute und übernehme gerne Verantwortung. Außerdem mag ich das Gestalterische im Umgang mit der Mode.“

Auf ihrem Weg in die Ausbildung hat sie die Unterstützung durch das Jobcenter schätzen gelernt: „Meine persönliche Beraterin hat regelmäßig nachgehakt und gefragt, wie es läuft, hat mir Tipps gegeben und mich ermutigt, meine beruflichen Wünsche zu notieren und mich zu bewerben. Dadurch hat sie mir gezeigt: Es gibt immer einen Weg. Wenn ich wirklich etwas tun will, kann ich auch etwas machen.“

 

„Potenzial erkennen und nutzen“

„Es ist wichtig, dass junge Menschen nach ihrer Ankunft in Deutschland ihr persönliches Potenzial erkennen und nutzen“, betont Christian Rauch, Leiter der Regionaldirektion Baden-Württemberg der Bundesagentur für Arbeit. „Zur gesellschaftlichen Integration gehört daher, sie möglichst bald mit dem hiesigen Bildungs- und Ausbildungssystem vertraut zu machen und sie auf dem Weg in die Arbeitswelt engmaschig zu unterstützen. Nur so können wir dazu beitragen, dass sie trotz eines beschwerlichen Starts die hohen Hürden des Sprach- und Berufserwerbs überwinden.“

 

Hier finden Sie Informationen zu

- berufsvorbereitender Bildungsmaßnahme (BvB),

- Berufseinstiegsbegleitung (BerEB),

- Einstiegsqualifizierung (EQ),

- assistierter Ausbildung (AsA).

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